Wirtschaft in Sachsen

aktuell – kritisch – hintergründig – der Blog zum Buch von Christian Wobst

Google macht die Menschen arm! Oder: Wie Ostberlin zu einer Benetton-Filiale kam

Montag, 19. Oktober 2009

Es soll ja noch immer Menschen geben, die glauben, dass sie mit Google Geld verdienen können. Wer in den unendlichen Weiten des weltweiten Webs auf der Suche nach einer entsprechenden Gebrauchsanweisung ist, dem sei Jeff Jarvis „Was würde Google tun?“ wärmstens empfohlen. Schon der Schutzumschlag erinnert frappierend an die bunte Aufmachung der hippen Suchmaschine, und wer sich durch die rund 400 Seiten gekämpft hat, der wird das Gefühl nicht los, als hätten hier ein paar der Google-Mitarbeiter in Mountain View Jeff Jarvis Kugelschreiber geführt. Bleibt nur eine Frage: Warum sollte jemand für eine Werbebroschüre Geld bezahlen? Eine mögliche Antwort: Weil Google gerade durch solche Art von Geschäften sein Geld verdient.

Im ersten Teil des Buches schreibt Jeff Jarvis von neuen Regeln und neuen Strukturen im Internetzeitalter. Kern seiner Ausführungen: Der Link verändert die Welt. Zeitungen können sich seiner Meinung nach getrost Sportreporter und Filmkritiker sparen, da wir alle Sportreporter und Filmkritiker sind. Gibt es irgendwo auf der Welt eine seriöse Seite, die es mit den von Journalisten recherchierten Berichten, Reportagen und Nachrichten aufnehmen kann? Wann werden die Vordenker des Internetzeitalters begreifen, dass ein Blog keine Zeitung ist, dass das Internet niemals eine gut gemachte Zeitung ersetzen kann? Deshalb ist es nur unseriöser Quatsch, wenn Jeff Jarvis auf Seite 212 behauptet oder empfiehlt (das wird in der deutschen Übersetzung leider nicht ganz klar), dass Zeitungen einen Zeitpunkt in nicht allzu weit entfernter Zukunft festlegen sollten, an dem sie die Druckerpressen abschalten. Nach der Lektüre des Buches bleibt freilich das Gefühl, dass die Druckmaschinen bei diesem Auftrag lieber stehen geblieben wären, doch dazu in den folgenden Ausführungen mehr.

Es bleibt zu hoffen, dass die Leser nicht zu spät merken, was ihnen eine qualitativ hochwertige Zeitung wert ist und dass Zeitungsverlage bald ihre Strategie überdenken, ihre Inhalte kostenfrei ins Internet zu stellen. Wer Inhalt haben möchte, der soll dafür auch bezahlen. Nur so behält der Bericht, die Nachricht, die Reportage ihren Wert auch über das Lesen hinaus. Ich selbst habe mehrere Abos für Tageszeitungen, frage mich aber ernsthaft, warum ich eines davon behalten soll, wenn ich alle (!) Inhalte dieser Zeitung auch kostenfrei im Internet nachlesen kann.

„Google ist der moderne Kiosk der Medienbranche“ schreibt Jeff Jarvis auf Seite 78. Offensichtlich ist der Professor für interaktiven Journalismus an der City University of New York in seinem Leben noch nicht an vielen Kiosken vorbeikommen. An einem realen Standardkiosk überblicke ich nach vier bis fünf Sekunden das gesamte Angebot (von der Ware, die unter dem Warentisch liegt, einmal abgesehen). Wem ist das bei Google schon einmal so gegangen? Bei Google liegt ja alles irgendwie unter dem Ladentisch.

In einer seriösen, überregionalen Tageszeitung findet der Leser die ganze Welt, im Internet nur das, was er sucht. Natürlich gibt es im Internet Dienste, die das Suchverhalten der Nutzer beobachten. Doch bei der Zeitungslektüre weiß ich auch erst, wenn ich den ersten oder zweiten Absatz eines Textes gelesen habe, ob mich dieser interessiert. Wie will eine Maschine dieses menschliche Verhalten abbilden, ohne Suchergebnisse anzuzeigen, die mich langweilen? Dennoch behauptet Jeff Jarvis auf Seite 141 ganz frech, dass Google mehr über das weiß, was wir wissen oder wissen möchten, als jede andere Institution. Allerdings weiß Google nur das, was wir ihm erzählen, was vor dem Hintergrund der Menschheitsgeschichte erschreckend wenig ist. Google weiß in etwa soviel, wie ein Neugeborener, der gerade im Kreissaal das Licht der Welt erblickt hat. Mit anderen Worten: Google hat keinen blassen Schimmer. Dafür besitzt das Unternehmen, ähnlich einem Neugeborenen, das Talent, auf sich aufmerksam zu machen, und für die stolzen Eltern ist das schreiende Kind ohnehin das Größte auf der Welt.

„Wenn Sie heutzutage nicht über Google gefunden werden können, ist es beinahe so, als existieren sie gar nicht“, schreibt Jeff Jarvis auf Seite 80. Für jemanden, der in einem Überwachungsstaat groß geworden ist, hat diese Aussage natürlich eine ganze andere, beklemmende Bedeutung, als für einen freiheitsliebenden und demokratieverwöhnten US-Amerikaner. Aber seien wir ehrlich, nach den persönlichen und geschäftlichen Informationen, die Menschen heute ohne Zwang ganz freiwillig ins Internet stellen, leckt sich jeder Geheimdienst die Finger. Sie glauben, kein Mensch würde sich durch die Banalitäten des weltweiten Netzes quälen? Ein Irrtum! Auch die Überwachungsprotokolle der Staatssicherheit bestehen zum größten Teil aus Banalitäten.

Nicht alles im Buch ist bis ins letzte Detail durchdacht. Unternehmern empfiehlt Jeff Jarvis auf Seite 84 seines Buches, auf Werbung zu verzichten und ihre Werbeagentur zu feuern um auf Seite 149 zu behaupten, dass es auch weiterhin „Kuratoren, Verlegen, Lehrer – und Werbeprofis“ braucht, „um das Beste zu finden und zu pflegen“ um schlussendlich auf Seite 255 zu der Meinung zu kommen, dass Werbeagenturen kurz davor stehen, begraben zu werden, ohne etwas davon zu wissen. Wie auch immer, ob mit oder ohne Werbung: Zum Glück verbreitet sich die Kunde über Jeff Jarvis neues Buch durch Blogeinträge wie diesen im Internetzeitalter ganz von alleine.

In einem Buch über das Internet darf ein so genannter Pionier wie Facebook-Gründer Mark Zuckerberg natürlich nicht fehlen. Natürlich erleichtert sein Social Network den Austausch von Informationen, und wenn es einmal nur belangenloses Blabla ist, dann hat der Nutzer wahrscheinlich die falschen Freunde. Deshalb sollte in den Augen von Jeff Jarvis auch niemand auf Mark Zuckerberg und Facebook herumhaken, „denn wir möchten doch, dass Leute wie er Grenzen erweitern und versuchen, etwas Sinnvolles mit all den Daten anzufangen, die überall herumschwirren“. Ich persönlich möchte festhalten, dass ich nicht zu dem hier genannten „wir“ gehöre. Denn ich möchte ganz und gar nicht, dass Mark Zuckerberg oder sonst jemand mit den Daten, die von mir leider schon viel zu umfangreich im weltweiten Netz herumschwirren, etwas Sinnvolles anfängt, denn dieser Sinn zielt nur auf eine einzige Sache: mein Portmonee.

Ich habe noch nie eine Anzeige von Google angeklickt und werde es auch in Zukunft nicht, weil sie mir einfach als zu langweilig erscheint. Jeff Jarvis verurteilt unsere schöne bunte Werbewelt als künstlich und marktschreierisch (was ja durchaus nicht neu ist) und behauptet deshalb auf Seite 251 mit vollem Ernst: „Googles schlichte, informative, sachdienliche Textanzeigen klingen aufrichtiger.“ Es sind solche Sätze, die dem Leser einfach ein breites Grinsen ins Gesicht zeichnen müssen, dazu gehört auch jenes Exemplar auf Seite 93, das so schön ist, dass er an dieser Stelle unkommentiert wiedergeben werden soll: „Im Internetzeitalter wirft man uns vor, wir seien gesellschaftsfeindlich, weil wir mit dem Laptop auf dem Schoß auf unserem Sofa sitzen, Kopfhörer tragen und uns mit niemanden unterhalten. In Wirklichkeit aber unterhalten wir uns mit mehr Menschen aus weiter entfernten Regionen als je zuvor, denn uns stehen mehr Möglichkeiten zur Verfügung.“

Auch wenn er auf seinen rund 400 Seiten mit allen Kräften versucht, etwas anderes zu behaupten, tritt den größten Beweis dafür, dass sich mit Inhalten im Internet kein Geld verdienen lässt, Jeff Jarvis selbst an. Er hätte sein Buch auch zum kostenlosen Download auf seiner Internetseite bereit stellen können. Wahrscheinlich hätte es dort aber niemand gefunden und Geld hätte Jeff Jarvis auch nicht verdient. Deshalb habe er sich dazu entschieden, dass Buch auf herkömmliche Weise zu veröffentlichen. „Denn das Buch und meine Gedanken werden in weiten Kreisen vertrieben und verbreitet, und so verdiene ich wahrscheinlich mehr Geld“, schreibt er auf Seite 129. Auf Seite 231 rechtfertigt er sich mit den folgenden Worten stolz vor dem Leser: „Ich konnte doch keinen Scheck über eine hübsche Summe ausschlagen und auf zahlreiche Annehmlichkeiten verzichten….“

Das Geld aus dem Buch kann Jeff Jarvis jetzt mit seiner Familie bei Mc Donalds verfuttern, schließlich geht er nur in Restaurants, die er im Internet findet (Mc Donalds), die ihre Speisekarte im Internet veröffentlichen (Mc Donalds) und wo jeder sieht, was die Lieblingsgerichte der anderen sind (soweit ist Mc Donalds noch nicht, aber Produkte, die zu selten gewünscht werden, verschwinden von der „Speisekarte“).

Wer Kritik an Google sucht, die es ja gerade im Bereich der mangelnden Transparenz, der Buchdigitalisierung und der Google-Zensur in China durchaus gibt, wird sie in dieser Werbebroschüre nur ganz dezent auf einigen wenigen Seiten finden, deshalb bleibt am Ende nur noch eine Frage: Wo genau war die Benetton-Filiale, die Jeff Jarvis vor dem Fall der Mauer in Ostberlin entdeckt haben will?

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