Wirtschaft in Sachsen

aktuell – kritisch – hintergründig – der Blog zum Buch von Christian Wobst

War die DDR ein Unrechtsstaat?

Sonntag, 28. Juni 2009

Berlin. Wolfgang Tiefensee, Leipzigs Ex-Oberbürgermeister und jetziger Bundesverkehrsminister, macht den Menschen zwischen Fichtelberg und Ostsee jetzt wieder Mut: „Wir Ostdeutschen haben einen einzigartigen Erfahrungsschatz, der von unschätzbarem Wert ist, um in unserem Land weiter an einer kraftvollen Demokratie zu bauen, mit selbstbewussten und wachsamen Bürgern.“ Mit diesen Worten kommentiert Tiefensee eine jetzt vorgestellte Studie zur DDR-Vergangenheit.Demnach sind 57 Prozent der Ostdeutschen der Meinung, die DDR hatte mehr gute als schlechte Seiten, und man konnte dort gut leben. Die Antworten der 1208 repräsentativ ausgewählten Personen lieferten nach Meinung des Ministers einen interessanten Beitrag zur aktuellen Demokratie- und DDR-Debatte und zeigten dabei einmal mehr die Widersprüchlichkeit und Zerrissenheit der Gefühlslagen der Deutschen in Ost und West: einerseits eine von allen Deutschen gleichermaßen erstaunlich hohe Wertschätzung und Anerkennung der friedlichen Proteste im Herbst `89 als verbindendes geschichtliches Ereignis unseres Landes (rund 80 Prozent in Ost wie West), andererseits ein verklärtes DDR-Bild der Ostdeutschen mit hohen positiven Werturteilen über den Staat (57 Prozent). Ganz offensichtlich ist letzteres der Schutzschild, den sich viele ehemalige DDR-Bürger nach den von ihnen so empfundenen Angriffen gegen sich und die DDR ganz automatisch aufgebaut haben. So erklärte der Politologen Klaus Schroeder, Leiter des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin im Gespräch mit dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ jetzt: „Viele Ostdeutsche begreifen jede Kritik am System als Angriff auf ihre eigene Person.“ Darüber hinaus glaubt er, dass sich gegen eine Darstellung ihrer alten Heimat als „Unrechtsstaat“ heute offenbar auch Jüngere und Bessergestellte wenden. Allerdings nicht nur im Osten. In einem lesenswerten Artikel für die Wochenzeitung „Die Zeit“ spricht sich die Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan für eine Trennung zwischen DDR-Bürgern und DDR-Staat aus. Denn auch in der DDR habe es Bereiche gegeben „in denen es trotz des Damoklesschwerts der SED-Willkür faktisch, wenn auch nie gesichert, auch rechtlich zuging.“ Schwan folgt damit einer Analyse, die der Politikwissenschaftler Ernst Fraenkel aus eigener Erfahrung über den NS-Staat vorgelegt hat. In seinem Buch über den Doppelstaat unterscheidet er zwischen dem „Normenstaat“, der ein Funktionieren von Wirtschaft und Gesellschaft garantierte, und dem „Maßnahmenstaat“, der den „Normenstaat“ jederzeit willkürlich außer Kraft setzen konnte.

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