Wirtschaft in Sachsen

aktuell – kritisch – hintergründig – der Blog zum Buch von Christian Wobst

Arbeitsgruppe stellt Bericht zum Zwickauer Grubenunglück vor

Sonntag, 21. Februar 2010

Im VEB Steinkohlenwerk "Martin Hoop" in Zwickau um 1957

Zwickau. Die Stadt Zwickau gedenkt morgen des folgenschweren Grubenunglücks vom 22. Februar 1960. Damals kamen in Folge einer Explosion 123 Bergleute ums Leben. Ab morgen ist auch das Buch „Die Grubenkatastrophe im VEB Steinkohlenwerk Karl Marx Zwickau vom 22. Februar 1960“ erhältlich, in dem auf 150 Seiten die Analysen einer Arbeitsgruppe zusammen gefasst sind.

Aufgrund der unterschiedlichen Darstellungen und wegen der Vermutungen und Legenden zu den vermeintlichen Unglücksursachen hatte der damalige Oberbürgermeister Dietmar Vettermann (CDU) im Jahr 2004 eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen. Dauerhaft gehörten ihr Vertreter des Steinkohlebergbauvereins Zwickau, des städtischen Kulturamtes sowie des Zwickauer Stadtarchivs an. Ihre Aufgabe bestand darin, auf der Basis vorhandener Quellen ein möglichst objektives, auf Tatsachen beruhendes Bild der Ereignisse zu zeichnen. Augenzeugenberichte konnten nicht genutzt werden, da leider alle Bergleute, die sich in der Nähe des Unglücksortes befanden, ums Leben kamen.

In der Folge wurden zwischen 2004 und 2006 mehr als 55 umfangreiche Akten eingesehen. Diese stammten aus dem Bundesarchiv, dem Bergarchiv Freiberg, dem Staatsarchiv Chemnitz, dem Stadtarchiv Zwickau und insbesondere der Außenstelle Chemnitz der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik. Dabei galt es, die Fülle der vorhandenen Berichte, Protokolle, Aktennotizen und Pläne zu studieren und auszuwerten.

Im Ergebnis dieser aufwändigen Arbeit ist nun festzuhalten, dass sich das Unglück wohl nie ganz aufklären lässt. Es trat jedoch deutlich zu Tage, dass das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) bei der Aufklärung und insbesondere bei der abschließenden Darstellung des Untersuchungsergebnisses zur Ursache der Katastrophe auch politische Interessen verfolgte. Die mit der Ermittlung beauftragten Mitarbeiter haben entweder auf Weisung, zumindest aber mit Billigung der Führung des MfS und weniger anderer hoher Funktionäre des Partei- und Staatsapparates ihre gewonnenen Erkenntnisse zur Katastrophenursache so manipuliert, dass schließlich das bisher bekannte, nur auf theoretischen Annahmen beruhende Ergebnis veröffentlicht wurde. Selbst die Regierung wurde mit diesen fragwürdigen Ergebnissen unterrichtet.

Dabei kam es zu ungewollten Pannen, als sich die maßgeblich an der Manipulation des Untersuchungsergebnisses Beteiligten zum Beispiel in der offiziellen DDR-Pressemitteilung zur Grubenkatastrophe dazu hinreißen ließen, das Erdbeben von Agadir in Nordafrika als eine mittelbare Ursache für den angenommenen Austritt von Methangas zu nennen – fatal, wenn man weiß, dass sich dieses Beben am 29. Februar 1960, also 7 Tage später, ereignet hat.

Den Ermittlern des MfS ist zu bescheinigen, dass es ihnen gelungen war, das gesamte Wissen um die wahren Umstände der Grubenkatastrophe in den Händen der Staatssicherheit zu konzentrieren. Nur so war es Ihnen letztendlich möglich, die offenkundigen Tatsachen zu einem rein hypothetischen, für die Öffentlichkeit einigermaßen glaubhaften Untersuchungsergebnis zu verfälschen.

Die Arbeitsgruppe geht davon aus, dass der bisher belastete Sprengmeister trotz seines sicherheitswidrigen Verhaltens als Verursacher der Katastrophe ausscheidet.

So konnte der konkrete Ort ermittelt werden, von dem die Explosion ausging. Danach nahm das Unglück seinen Lauf an einer anderen Stelle, als bisher vermutet. Dort hielt sich zum Zeitpunkt des Geschehens nicht der bisher belastete, sondern ein anderer Sprengmeister auf. Der genaue Hergang, das heißt aus welchen konkreten Gründen der Sprengstoff dieses Sprengmeisters zur Detonation kam, lässt sich jedoch nicht mehr rekonstruieren. Keinen belastbaren Hinweis fand die Arbeitsgruppe darauf, dass ein Sprengmeister in Selbstmordabsicht die Explosion herbeigeführt haben könnte.

Diskutiert wurden die vorgenannten Ergebnisse in einem Kolloquium am 18. April 2008, an dem Fachleute aus ganz Deutschland teilnahmen. Die einhellige Meinung der unabhängigen Experten fasste Dr. Michael Farrenkopf vom Deutschen Bergbaumuseum Bochum unter anderem mit den Worten zusammen: „Die Erkenntnisse der Zwickauer Arbeitsgruppe scheinen mir stimmig zu sein und gehen weit über das hinaus, was man in vielen anderen Fällen weiß.“

Zusammengefasst ist die jahrelange Arbeit nun in dem Band „Die Grubenkatastrophe im VEB Steinkohlenwerk „Karl Marx“ Zwickau vom 22. Februar 1960“. Verkaufsstart für das etwa 150 Seiten umfassende Werk, das zahlreiche Bilder und Hinweise auf Originalquellen enthält, ist am 22. Februar.

Quelle: Wikipedia – Deutsches Bundesarchiv (German Federal Archive), Bild 183-50124-0002, Urheber: Schlegel 1957
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