Wie ticken Ost- und Westdeutsche?
Donnerstag, 24. September 2009
Leipzig. Zustimmung zur Demokratie als Gesellschaftssystem, aber kritische Sicht auf die aktuell praktizierte Demokratie; hohe Unzufriedenheit mit der Gesundheitspolitik, der Lohn- und Rentenpolitik; Freude über 20 Jahre deutsche Einheit, auch wenn ein vollständiges Zusammenwachsen in naher Zukunft nicht in Sicht ist – so lassen sich die Ergebnisse einer Repräsentativerhebung zusammenfassen, die im Auftrag der Universität Leipzig im Sommer 2009 bei 2.512 Ost- und Westdeutschen im Alter von 14 bis 94 Jahren durchgeführt wurde. Im Rahmen der Studie wurden auch Fragen zur Einschätzung gesellschaftspolitischer Aspekte und zur Bewertung der Wiedervereinigung gestellt.
Demokratie als ideale und praktizierte Staatsform
Die Befragten sollten zunächst ihre Meinung zur Demokratie äußern und in diesem Zusammenhang die Demokratie als Staatsidee im Vergleich zu anderen Staatsformen und in ihrer aktuellen Ausführung bewerten. Als Idee erhält die Staatsform überwiegend Zustimmung von den Befragten (76 Prozent), hinsichtlich der tatsächlich gelebten Demokratie ist allerdings die Zahl derjenigen, die hier sehr zufrieden sind, eher gering (9,9 Prozent). Fast die Hälfte der Befragten ist eher zufrieden (47,9 Prozent) und ein annähernd gleich großer Teil (42,2 Prozent) ist eher beziehungsweise sehr unzufrieden. Betrachtet man Ost und West voneinander getrennt, so zeigt sich im Osten eine größere Unzufriedenheit mit dem politischen System und der darin gelebten Demokratie als im Westen (Ost: 64,9 Prozent sehr oder eher unzufrieden gegenüber 35,4 Prozent im Westen).
Nach ihrer Verbundenheit mit dem politischen System der Bundesrepublik befragt, fühlen sich 15,5 Prozent vollkommen und 30,4 Prozent im Großen und Ganzen verbunden. 32 Prozent nehmen eine Mittelposition ein (teilweise verbunden), 21,9 Prozent fühlen sich wenig oder gar nicht verbunden.
Grundsätzlich ist allerdings die Verbundenheit in den neuen Bundesländern weniger ausgeprägt als in den alten.
Zufriedenheit mit staatlich-politischen Aspekten
Befragt nach der Zufriedenheit mit weiteren staatlich-politischen Aspekten wie etwa der Wirtschaftsordnung, zeigen sich auch hier deutliche Auswirkungen der Wirtschaftskrise: immerhin 63 Prozent aller Befragten sind mit der jetzigen Wirtschaftsordnung weniger oder gar nicht zufrieden. Weitere Aspekte, mit denen die Befragten eher unzufrieden sind: Sozialpolitik: 42,8 Prozent kaum und 19,4 Prozent gar nicht zufrieden. Bildungspolitik: 21,0 Prozent unzufrieden, 40,9 Prozent weniger zufrieden. Familienpolitik: 59,8 Prozent sind gar nicht oder weniger zufrieden, Gesundheitspolitik: 77,4 Prozent gar nicht oder weniger zufrieden, Lohnpolitik: 75,5 Prozent weniger und gar nicht zufrieden, Rentenpolitik: 77 Prozent unzufrieden oder  weniger zufrieden. Deutliche Unterschiede zwischen Ost und West zeigen sich hinsichtlich der Zufriedenheit mit der Wirtschaftsordnung, der Sozialpolitik, der Bildungs- und der Familienpolitik. In diesen Bereichen ist die Zufriedenheit in den neuen Bundesländern geringer als in den alten.
20 Jahre Wende – ein Thema? Erinnerung, Befindlichkeiten und Zukunft
Ein dritter Fragenkomplex bezog sich auf die Auseinandersetzung mit der jüngeren Geschichte und 20 Jahren Wende. Die Mehrheit der Befragten ist der Meinung, dass es höchste Zeit war, dass das SED-Regime beseitigt wurde (73 Prozent) und dass die DDR ein Unrechtsstaat war (64,7 Prozent). Dabei sind die Befürworter dieser Meinungen im Westen stärker vertreten als im Osten. Hier wird nach wie vor stark der Aussage, dass der Sozialismus im Grunde eine gute Idee ist, die bisher nur schlecht ausgeführt wurde, zugestimmt (49,2 Prozent), allerdings ist die Gruppe derjenigen, die der Aussage teilweise zustimmen, in Ost und West annähernd gleich groß.
Die gesellschaftliche Entwicklung in Ostdeutschland nach der Wende wird von der überwiegenden Mehrheit der Befragten teilweise (33,5 Prozent) oder vollkommen (40,8 Prozent) als Fortschritt bewertet. 10 Prozent betrachten die Entwicklung vor allem als Rückschritt.
Zwischen Ost und West gibt es nach wie vor unterschiedliche Befindlichkeiten: So stimmen 60,5 Prozent der ostdeutschen Befragten der Aussage, dass viele Westdeutsche Ostdeutsche als Deutsche zweiter Klasse behandeln überwiegend oder vollkommen zu, im Gegensatz zu 29 Prozent der Westdeutschen. Nach den Gemeinsamkeiten zwischen Ost- und Westdeutschen befragt, antwortet weniger als die Hälfte der Ostdeutschen, dass sie mehr Gemeinsamkeiten als Trennendes mit Westdeutschen erleben (46,6 Prozent). Diese geben zu 66 Prozent an, dass zwischen Ost- und Westdeutschen mehr Gemeinsamkeiten als Trennendes existieren.
Auf die Frage, wie lange es dauern wird, bis Ost- und Westdeutsche zu einer richtigen Gemeinschaft zusammengewachsen sind, werden durchschnittlich 20 weitere Jahre veranschlagt. Im Vergleich Ost und West wird aber auch deutlich, dass es vor allem im Westen einen großen Teil der Befragten gibt (40,4 Prozent), für die dieses „Zusammenwachsen“ bereits vollzogen ist. Im Gegensatz dazu gibt es in den neuen Bundesländern immerhin 33,3 Prozent und aber auch in den alten Bundesländern 27,2 Prozent, die angeben, dass dieses Zusammenwachsen nie abgeschlossen sein wird.
Darüber, dass die Einheit Deutschlands hergestellt ist, freuen sich 14 Prozent sehr stark und 32 Prozent stark. 43,5 Prozent freuen sich teilweise, lediglich 6,2 Prozent freuen sich kaum und 4,1 Prozent gar nicht. Hinsichtlich der Freude gibt es kaum Ost-West-Unterschiede.
Fast alle der Befragten leben gern (37,9 Prozent) beziehungsweise sehr gern (30,5 Prozent) in der nunmehr vereinigten Bundesrepublik. So sind denn auch mehr als die Hälfte der Befragten (55,3 Prozent) der Meinung, dass der 20. Jahrestag der deutschen Einheit am 3. Oktober 2010 ein Grund zum Feiern ist. Die Zustimmung ist in den alten Bundesländern stärker als in den neuen, grundsätzlich aber in beiden Teilen Deutschlands doch sehr hoch.
Kommentare
Antworten