Wirtschaft in Sachsen

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Denkmalschutz und Stadtumbau: Streit um das kulturelle Erbe

Dienstag, 04. November 2008

Leipzig. Weniger Abriss, mehr Sanierung von Altbausubstanz und denkmalgeschützte Gebäuden in den Innenstädten – der Richtungswechsel beim Stadtumbau ist im Osten hart umstritten und ein wichtiges Thema bei der Messe denkmal vom 20. bis 22. November 2008 auf dem Leipziger Messegelände.Über 100.000 Baudenkmale sind in den letzten Jahren bundesweit zerstört worden, in den vergangenen drei Jahrzehnten nach seriösen Schätzungen mehr als 300.000. Experten, wie die Professorin für Denkmalpflege und Bauforschung, Uta Hassler, warnen: „Ein Land verliert damit sein Gedächtnis.“ Der Verlust an den meist kleinen, alltäglichen Bauten macht kaum Schlagzeilen. Turbulent wird es jedoch, wenn Renommierobjekte bedroht sind oder wenn es gar um das Weltkulturerbe geht, wie beim Bau der Dresdner Waldschlösschenbrücke.
Auf Denkmalschutz legten die Menschen Wert, sie sei die größte Kulturbewegung der Republik, befindet Hassler. Statistische Erhebungen geben ihr recht. Nach einer Analyse der Allensbacher Meinungsforscher fordern fast 90 Prozent aller Bürger, dass alle historischen Gebäude bei einer Stadtsanierung erhalten bleiben müssen. Doch Kommunen entscheiden oft anders. Nur zwei Beispiele: In Hamburg werden inmitten der Innenstadt alte Häuserzeilen geopfert, in Chemnitz verfallen zur gleichen Zeit die schönsten Jugendstilhäuser. „In letzter Instanz entscheidet die Ökonomie, was möglich ist, gerade auch in der Denkmalpflege“, konstatiert der Architektur- und Kunsthistoriker Holger Brülls nüchtern und ist sich dennoch sicher: „Über das Schöne, Wahre und Gute entscheidet sie nicht.
Dabei gibt es auch ökonomische Argumente wie Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit, die den Sinn des Denkmalschutzes begründen. Zahlen des Deutschen Tourismusverbandes beweisen, dass Reisen in Städte mit historischen Stadtkernen und wertvollen Denkmalen ein boomender Markt sind. Ganz abgesehen von den Investitions- und Beschäftigungseffekten, die aktiver und umsichtiger Denkmalschutz im Rahmen der Städtebauförderung erzeugt. Jeder Euro, der in ein Denkmal fließt, sorgt für Folgeinvestitionen in 15-facher Höhe, hat das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz errechnet. „Bauliche Zeitzeugen entwickeln mehr und mehr eine eigenständige Marktdynamik“, ist Holger Rescher von der Deutschen Stiftung für Denkmalschutz überzeugt. „Sie werden zum Motor für die Wirtschaft.“

Neue Akzente für alte Bauten


Der Beauftragte für den Aufbau Ost, Bundesminister Wolfgang Tiefensee (SPD), will beim Stadtumbau neue Akzente setzen und plädiert für einen stärkeren Schutz von Altbauquartieren beziehungsweise Gebäudedenkmalen. Tiefensee befürchtet, dass zu viel Altbau abgerissen und zu wenig Fördergeld in dessen Sanierung investiert wird. Er fordert deshalb „eine kluge Abriss- und eine kluge Aufwertungsstrategie“. Geht es nach Tiefensee, wird der Abriss von Gebäuden aus der Zeit vor 1918 künftig nicht mehr gefördert. Das Land Sachsen hingegen will weiterhin Fördermittel des Bundes dafür verwenden, um Abrisse aus diesem Gebäudebestand zu forcieren. Der Streit um die Neujustierung der Förderung ist zwar noch nicht abgeschlossen, doch vielerorts werden bereits Tatsachen geschaffen. So in Freiberg, wo sich die Städtische Wohnungsgesellschaft (SWG) vom Stadtrat eine Abrissliste absegnen ließ, die viele kostbare Baudenkmäler im Zentrum beziehungsweise in zentrumsnahen Lagen enthält.
Der von der Bundesregierung in Auftrag gegebene „Statusbericht der Bundestransferstelle Stadtumbau Ost“ im vergangenen Jahr enthüllte, dass zwar 70 Prozent des Altbaubestandes in den neuen Bundesländern inzwischen saniert sind. Zugleich sei aber in vielen der restlichen Altbauquartiere eine Welle in Gang gekommen, der bereits 14.000 Altbauwohnungen zum Opfer gefallen seien, darunter etwa 1.000 Einheiten in denkmalgeschützten Gebäuden. Ein Trendwechsel sei erkennbar, heißt es in dem Statusbericht.
Jede fünfte Kommune in den neuen Bundesländern setze ihren Rückbauschwerpunkt bereits in den gründerzeitlichen Beständen, jede siebente in der historischen Altstadt.

Mehr Geld für aktiven Denkmalschutz

Politischer Wille sei es gewesen, dass die Orte von außen nach innen schrumpfen sollen, sagt Jana Schimke, Referentin der Eigentümerschutzgemeinschaft Haus & Grund. „Nur funktioniert das nicht mehr, weil beim Stadtumbauprogramm fiskalische Anreize geschaffen werden, die ungeachtet der Lage und des Bestandes zum Abriss animieren. Dabei wird auch vor Altbauten und denkmalgeschützten Bauten in den Innenstädten kein Halt mehr gemacht.“ Die Förderung sei also nicht geeignet, Stadtentwicklung zu steuern, befindet Schimke. Mit der Parole „Mut zur Lücke“ sei es einfach nicht getan.
Im Bundesbauministerium befürchtet man nun, dass zu viel Altbau abgerissen und zu wenig Fördergeld in die Sanierung investiert wird. Statt 30 Prozent sollen darum künftig mindestens 50 Prozent der Bundeshilfen für die Aufwertung eingesetzt werden. Tiefensee will damit vermeiden, dass innerstädtische Altbausubstanz mit kulturellem und geschichtlichem Wert dem Abriss zum Opfer fällt. Er hat dazu mit den neuen Ländern vereinbart, den Rückbau stadtbildprägender Gebäude, die vor 1914 errichtet wurden, an die Zustimmung des jeweiligen Landes zu binden. Keine Frage, der Bund hat ein starkes Interesse an funktionsfähigen Innenstädten und dafür weitere Förderprogramme aufgelegt, die auch den städtebaulichen Denkmalschutz stärken sollen. So wird derzeit eine Liste von Städten mit historischen Stadtkernen und anderen baukulturell wertvollen Stadtquartieren erarbeitet, die besonderen Schutz genießen sollen.
Zudem hat der Bund sein Budget für den aktiven Denkmalschutz erhöht und räumt privaten Investoren die steuerliche Absetzbarkeit der Sanierungskosten ein. Wirklichen Schutz vor weiterem Abriss können aber weder detaillierte Denkmal-Listen noch steuerliche Maßnahmen leisten. Nötig sei eine ausgewogene Balance zwischen politischen Entscheidungen, Verwaltungshandeln und Bürgerwille, betont Brülls. Das zu erreichen sei jedoch heikel.

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